Autor Thema: Anatomisch richtig zeichnen  (Gelesen 13624 mal)

Simeon Indzhov

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Re: Anatomisch richtig zeichnen
« Antwort #60 am: 2018-10-15 11:08:24 »
Mit Fotovorlage arbeite ich izwischen auch, wobei ich das Foto nur für die Contours& Proportionen brauche und dann die Details (Schattierung, Perspektive, wenig sichtbare Kleinigkeiten) direkt vom Okular nachzeichne

Martin Lemke

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Re: Anatomisch richtig zeichnen
« Antwort #61 am: 2018-10-15 12:14:11 »
Nur fürs Protokoll. Mit Spiegelvorauslösung konnte ich jetzt ein Foto der Vulva von Agyneta mollis machen:

Agyneta_mollis_Duvestedter_Brook_24.IX.2019_Feuchtwiese-Vulva_Kaltfilter.jpg
*Agyneta_mollis_Duvestedter_Brook_24.IX.2019_Feuchtwiese-Vulva_Kaltfilter.jpg (42.91 KB . 398x600 - angeschaut 409 Mal)

Zeichnen möchte ich diese nicht.

Martin
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Simeon Indzhov

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Re: Anatomisch richtig zeichnen
« Antwort #62 am: 2018-10-15 12:27:17 »
Das ist schon eine Herausforderung, aber unmöglich finde ich es nicht: die Vulven haben fast immer dieselben Komponenten: Einführunggänge, Rezeptakeln und Befruchtunggänge. Die muss man immer gezielt suchen, um zu differenzieren - und schließlich zu zeichnen. Die Risiken sind die schwach sklerotisierten Teile, insbesondere die Windungen der Einführunggänge - sowie die Abteilungen der Rezeptakeln. Darauf muss man achten.
Übrigens: die Strukturen sind relativ gut sichtbar auf dem Foto (denke ich). Aber ist es vom Okular gesehen besser? Häufig wird es notwendig, dass man das Objekt im Zweifelfall direkt anschaut, um Unklarheiten am Foto zu erklären. Es ist natürlich zu empfehlen, dass das Objekt während des Prozesses nicht gedreht wird - aber davor und danach ist es empfohlen, dass es gemacht wird. Auf dieser Weise versteht man schließlich, wie die Strukturen aussehen, und hat sie im Kopf während des Zeichnens

Martin Lemke

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Re: Anatomisch richtig zeichnen
« Antwort #63 am: 2018-10-15 12:57:58 »
Man sieht hier schon auf dem Foto, dass es eine Hand voll unklar zu interpretierende Strukturen gibt. Das Foto reicht aber aus, um den Artnachweis zu belegen (Publikation) – Christo Delthev macht es in seinen Publikationen ja auch mit Fotos.

Wenn ich mal wieder Zeit für Zeichenübungen finde, werde ich es Eurer aller Tipps entsprechend, mit einfacheren Strukturen versuchen. Ich muss ja nicht sehenden Auges in die Frustration laufen.

Martin
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Simeon Indzhov

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Re: Anatomisch richtig zeichnen
« Antwort #64 am: 2018-10-15 13:39:58 »
Die Vulva ist btw umgedreht, mit dem posterioren Teil nach oben :) - ohne überhaupt mit Araneae oder Pierre verglichen zu haben, habe ich versucht, eine sehr grobe Skizze zu machen, mit Beschriftungen. Mir ist natürlich auch nicht alles klar, aber ich habe ja das Exemplar nicht vor mir, und mir fehlt zB die Ventralsicht (wo Atrialöffnungen zB sichtbar wären, Agyneta hat doch sowas, oder?). So wird es deutlich, wo die Einführunggänge münden, was schließlich für ihr Erkennen als solche beiträgt

Martin Lemke

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Re: Anatomisch richtig zeichnen
« Antwort #65 am: 2018-10-15 14:17:10 »
Dass das Foto auf dem Kopf steht (richtiger: unüblich dargestellt), hatte ich leider erst bemerkt, als ich die Skala schon beschriftet hatte. Das ist einer der Nachteile, wenn man die Skalenbeschriftung mit die Bilddatei aufnimmt.

Das Foto war lediglich ein neuer Versuch mit anderen Kameraeinstellungen (in diesem Fall: 1 s Spiegelvorauslösung).

Die fehlinterpretierbaren Strukturen, die ich meine, hast Du gar nicht erst mit gezeichnet. So zeigt Deine Skizze weniger als das Foto.

Martin
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Simeon Indzhov

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Re: Anatomisch richtig zeichnen
« Antwort #66 am: 2018-10-15 16:16:57 »
Eben - ich habe das Exemplar nicht vor mir. Ich sehe ja nicht viel mehr, als ich skizziert habe, daher wäre es wichtig, dass der direkte Betrachter zeichnet, um möglichst viel zu zeigen

Rainer Breitling

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Re: Anatomisch richtig zeichnen
« Antwort #67 am: 2018-10-22 09:32:02 »
Am meisten graust es mich vor dem Gedanken, Haare anatomisch korrekt einzeichnen zu müssen. Zählt die überhaupt jemand? Sind die denn bestimmungsrelevant, bzw. wichtig fürs Verständnis der Anatomie? Können die nicht weg gelassen werden?

z. B. hier eine Zeichung von Rainer:


Die zu investierende Arbeit für eine Zeichung wäre vermutlich 60 % geringer, ließe man die Darstellung der Haare weg.

Die Zeichnung verrät nichts über die anatomische Funktion. Die Haare steuern hierzu auch nichts bei, sondern stören eher beim Betrachten.
Die Haare können natürlich auch weggelassen werden. Einer meiner Favoriten unter den Spinnenzeichnern hat das ganz konsequent getan: Lohmander 1945. Seine Zeichnungen sind trotzdem höchst informativ und zeigen Details, die auch das beste Foto so nicht wiedergeben könnte.

Die meisten der wirklich hervorragenden Zeichner haben sich aber auch mit den feinsten Härchen grosse Mühe gegeben, zumindest in ihren besten Arbeiten. Ein paar Beispiele: František Miller 1958, Manfred Moritz 1973, Margareta Dumitrescu 1979, Hans-Bert Schikora 1994, Bernhard A. Huber 1995, Ingmar Weiss 1996.

Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen:
1. Die Haare sind oft funktionelle Sinnesorgane, und sie stehen nicht einfach zufällig herum, sondern in art- oder gattungstypischer Anordnung. Sie sind auch nicht alle gleich, sondern erstaunlich vielfältig, sowohl innerhalb wie zwischen den Arten. Die Trichobothrien sind da nur ein extremes Beispiel, aber ich erinnere auch an die Schwierigkeiten bei Centromerita.
2. Einem Zeichner, der sich die Mühe gibt, die Behaarung korrekt wiederzugeben, kann man auch bei den anderen Details  viel eher vertrauen. Er/sie hat ja offensichtlich wirklich genau hingeschaut (und wenn nicht, dann sieht man das bei den Härchen auch ganz schnell).
3. Die Behaarung kann als relativer Massstab dienen und einen ersten Eindruck von den Grössenverhältnissen geben.
4. Bei Epigynenzeichnungen ist es Konvention, in der Ventralansicht die Haare zu zeigen. Im Harpactea-Beispiel wüsste man sonst ja nicht, von welcher Seite man auf die Strukturen schaut (auch wenn das in diesem speziellen Fall wohl keine grosse Rolle spielt).
5. Die Haare können transparente Strukturen andeuten und die räumliche Anordnung verdeutlichen. In der Beispiel-Zeichnung ging es mir vor allem darum, die Spaltsinnesorgane zu zeigen. Ohne die Haare wäre deren Lage im Raum völlig unklar; mit Haaren wird hoffentlich einsichtiger, dass es sich um Cutikulastrukturen handelt, die "über" den  internen Genitalstrukturen liegen.
6. Und schliesslich bleibt noch das ganz subjektive Argument, dass eine Zeichnung mit korrekt und sorgfältig gezeichneten Härchen einfach besser aussieht, durch die zusätzliche visuelle Komplexität. Um's Bestimmen geht es bei diesem Beispiel ja nur sekundär, zumal schon beim Originalpräparat die hintere Hälfte der Endogyne verloren gegangen war.

Beste Grüsse,
Rainer

Tobias Bauer

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Re: Anatomisch richtig zeichnen
« Antwort #68 am: 2018-10-22 11:51:26 »
Eventuell muss man das auch abhängig von der Gruppe machen. Jantscher, die sicherlich mit die besten Epigynenbilder von Xysticus geliefert hat, zeichnet konsequent ohne Haare. Im Vergleich mit anderen "Haarezeichnern", z.B. Roberts, muss man sich ernsthaft fragen, ob der nicht geringe Mehraufwand gezeichneter Haare in diesem speziellen Fall nötig oder diskutabel ist. Bei Liynphiiden, z.B. bei Centromerus, finde ich, im Gegensatz zu Xysticus, Zeichnungen mit korrekten (nicht angedeuteten) Haaren jedoch durchgängig einfach besser zum Bestimmen. Ich weiß nicht, an was genau das liegt. Eventuell eine Kombination von Rainer's Gründen und subjektivem Empfinden, z.B. bessere Übertragbarkeit der oftmals stark behaarten Epigynen vom Auge/Gehirn zur Zeichnung.

Tobias