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(1) Disregard of ICZN rules. – Gleich bei ihrem ersten Punkt sind die Autoren besonders bösartig in ihrem kreativen Missverstehen von Prószyńskis Argumenten. Wenn er schreibt, dass langatmige Textbeschreibungen ohne informative Abbildungen bestenfalls nutzlos und schlimmstenfalls irreführend sind, dann sagt er nur, was jeder Spinnentaxonom eigentlich wissen sollte. Wer schon einmal versucht hat, die von Simon, Thorell oder Strand beschriebenen Arten anhand der seitenlangen bilderfreien Texte zu identifizieren, weiss, worum es Prószyński hier geht. Der gezwungene Versuch, Abbildungen in Wörter zu übersetzen, kann ohne Übertreibung als Zeitverschwendung beschrieben werden, und daraus einen Verstoss gegen die ICZN-Regeln abzuleiten, ist grotesk. Ein Verweis auf eine diagnostische Abbildung erfüllt die Anforderungen von Artikel 13.1.1 vollkommen.
(2) Disregard of the need to explain evidence. – Das ist sicher der grösste Schwachpunkt in Prószyńskis Vorgehensweise: er erklärt nicht, worauf seine taxonomischen Entscheidungen beruhen. Das macht es unmöglich, mit ihm in eine wissenschaftliche Diskussion zu treten; eine äusserst frustrierende Erfahrung für jeden Wissenschaftler aus Leidenschaft. Dass Prószyński hierin nicht alleine ist, verringert das Problem nicht, macht einen solchen persönlichen Angriff aber besonders unfair.
(3) Descriptive taxonomy vs systematics (an old story). – Hier verweisen die Autoren auf die Debatte zwischen Ernst Mayr und Willi Hennig in den frühen siebziger Jahren. Es adelt Prószyński zwar übermässig, wenn er mit Mayr, einem der Gründerväter der Modernen Synthese der Evolutionstheorie, auf eine Stufe gestellt wird. Aber die Tatsache, dass diese Debatte damals mit grösstem Eifer geführt wurde und noch heute in den Lehrbüchern behandelt wird, beweist einmal mehr, wie wichtig es ist, auch Ansichten zu diskutieren, mit denen man es fundamental uneins ist. Die Aussage „There is only a single objective base for a classification in systematics, and this is the unique process of phylogeny“ ist eine subjektive Entscheidung der Autoren, keine wissenschaftliche Tatsache. Jorge Luis Borges‘ Einteilung des Tierreichs in „(a) pertenecientes al emperador, (b) embalsamados, (c) amaestrados, (d) lechones, (e) sirenas, etc.“ ist nicht weniger objektiv, aber leider völlig unpraktisch. Jeder zoologische Bestimmungsschlüssel ist dagegen eine „objektive Klassifizierung“, und nur in den seltensten Fällen folgt er einer phylogenetischen Hypothese; er ist blosses Abbild einer „pragmatic classification“, ganz im Sinne Prószyńskis. Das macht Bestimmungsschlüssel nicht weniger wertvoll oder gar subjektiv.
(4) Disregard of modern scientific methods. – Dass Prószyński molekulargenetische Methoden rundweg ablehnt, hat er mit einem grossen Teil der Spinnentaxonomen seiner Generation gemeinsam. Seine Ablehnung von taxonomischen Routinemessungen als unnötigen Ballast und Zeitverschwendung ist im Kontext der Springspinnensystematik ebenfalls leicht nachzuvollziehen. Es sieht dann auch ganz so aus, als könnten die Autoren kein einziges Salticiden-Beispiel liefern, bei dem die standardmässig abgelieferten Messungen der Körperproportionen zu hilfreichen neuen Einsichten geführt haben. Das bedeutet natürlich nicht, dass gezielte morphometrische Studien im grossen Massstab nicht hilfreich sein könnten – aber das sagt Prószyński auch nirgends. Auch hier scheinen die Autoren ihn wieder sehr kreativ misszuverstehen.
Ich stimme dir in Teilen zu, sehe einiges aber nicht so, zudem fordert das paper geradezu eine Diskussion und eigentlich auch eine Antwort.
Ich finde diese (deine) Aussage dazu ebenfalls etwas polemisch. Hier wird Prosz. Aussage auf die schlimmsten Fälle in der Taxonomie gemünzt, um das Argument des WSC-Teams zu schwächen und Prosz. unschuldiger aussehen zu lassen, als er tatsächlich ist. ... Daher hat das Autorenteam hier recht, das deutlich zu tadeln, auch wenn es sich nicht unbedingt um einen ICZN-Verstoß handelt.
Schaut man sich das in der richtigen Praxis mal an, so nennt er für Evacina besar u.a. folgende Merkmale in der Diagnose:details of special significance are arising point of embolus at the latero-posterior point of tegular rim and fine details of slightly waving tibial apophysis
Ja und Nein. Natürlich ist das Autorenteam nicht unschuldig, aber Prosz. verweigert sich auch einfach dem Dialog, und spricht z.B. Maddison's molekulargenetischer Einteilung jeglichen praktischen Nutzen an sich ab, ohne Einzelfälle zu prüfen. Seine Vorgehensweise entspricht dem eines Salticiden-Diktators, per Handzeichen eine vermeintlich praktische Einteilung (und das ist sie ja nicht mal! Versuche, aus seiner Einteilung mal einen sinnvollen Bestimmungsschlüssel zu erstellen) zu zementieren, ohne auch nur den geringsten Beweis für deren direkten Nutzen (nicht deren wissenschaftliche Korrekheit!) zu liefern. Das ist aktuell einmalig in der Araneologie.
Soweit ich verstehe, will die biologische Systematik Tierarten (die Art muss dabei als Begriff unumstößlich sein) aufgrund ihres natürlichen Verwandschaftsgrades einteilen, und nicht aufgrund von mehr oder weniger subjektiven (oder sehr lustigen) Merkmalen. Würde das Wort "Systematics" im Satz der Autoren fehlen, würde ich komplett zustimmen. Prosz. interessiert sich aber nicht für die natürliche Beziehung von Arten. Egal wie die Springspinnen verwandt sind, wenn sie subjektiv morphologisch ähnlich sind, kommen sie in eine Gruppe, weil es praktisch ist.
Prosz. versucht, in seinen Arbeiten keinen einfachen Bestimmungsschlüssel zu etablieren. Dagegen hätte sicherlich niemand was. Dann würde er auch komplett auf Gattungen und Artbeschreibungen verzichten. Er aber nimmt die Nomenklatur (und andere Arachnologen) in Geiselhaft, indem er schlicht den aktuellen Methoden in der Zoologie und den vorhandenen Wissenschaftlern die Fähigkeit (zum Konsens) abspricht, die Springspinnen sinnvoll zu klassifizieren, so dass sie "bestimmbar" sind. Er führt Gattungen und Arbeitsmethoden "provisorisch" ein, und überlässt anderen Autoren die Arbeit, diese wissenschaftlich zu belegen. Seine Begründung ist meist, dass er seit langer Zeit mit Salticiden arbeitet, und er wohl schon weiß, was richtig ist, und stellt dabei ganz klar die Nomenklatur vor die Phylogenie.
Prosz. schreibt ganz klar:"Body proportions are not reconstructed from 30 measurements and several indices, but memorized by a single look at a photograph. Important parameter may be only total body length, but in majority of Salticidae it is pretty uniform, between 4 and 8 mm, rarely bigger or smaller, in addition size of body and its parts of a species may vary within broad limits, in some species even up to 50%."Und gibt z.B. auch in der Beschreibung von Evacin besar keinerlei Maße an (auch nicht als Skala auf den Bildern!). Das ist extrem gefährlich, denn morphometrische Werte von Springspinnen können durchaus relevant sein, siehe z.B. S. zimmermanni und S. atricapillus. Und für die Hypothesenbildung ist eine genaue Vermessung von auch nur einigen Exemplaren durchaus interessant, weil sich bei bestimmten Körpermaßen auch bei kleinem n schon gewisse Tendenzen erkennen lassen (man denke an den Fall meiner Kugelspinnenart (ok, andere Familie, aber trotzdem) aus der Wilhelma). Nun werden Körperlängen aber nicht nur von Taxonomen, sondern zunehmend auch von Ökologen in sogenannten Traitanalysen verwendet. Zudem werden Köperlängen, Prosomalängen usw. traditionell auch in anderen Bereichen verwendet, z.B. in morphometrischen Regressionsanalysen, wie dem bekannten Paper von Marshall & Gittlemann (1985) zum Verhältnis von Körperlänge und Gelegegröße bei Spinnen. Oftmals sind taxonomische/naturhistorische Bestimmungswerke hier die einzigen Bezugsquellen, die existieren. Auch wenn es für einen Springspinnentaxonomen aus seiner Sicht durchaus verständlich ist, Körpermaße als unnötig für die Bestimmung abzutun, raubt Prosz. mit dieser ungenauen Herangehensweise damit der Taxonomie einen Teil ihrer Daseinsberechtigung, da, sehen wir mal von der Bestimmung ab, die Grundidee einer taxonomischen Beschreibung, umfassend über eine Art zu informieren, verfehlt wird, wenn nur noch subjektiv wichtige Angaben gemacht werden. Aber klar: Kropf et al ziehen diesen Punkt falsch auf.
Das ist ein weitverbreitetes Missverständnis. Das ist zwar das Selbstverständnis der modernen Systematik, aber natürliche Systeme sind nicht die einzig möglichen (siehe Borges). Auch hier stellt sich Prosz. wieder ausserhalb des wissenschaftlichen Diskurses, ganz offen und unbekümmert. Man muss seine Ansichten nicht teilen (und ich wäre überrascht, wenn sich auch nur ein einziger Arachnologe findet, der ihm in seinem Vorgehen zustimmt), aber vom WSC-Team erwarte ich Präzision in der Argumentation.
There is only a single objective base for a classification in systematics, and this is the unique process of phylogeny