Autor Thema: Angabe: Weit verbreitet und sehr häufig  (Gelesen 2578 mal)

Martin Lemke

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Angabe: Weit verbreitet und sehr häufig
« am: 2009-06-27 05:33:52 »
Ich lese oft im Wiki den Satz "weit verbreitet und sehr häufig" und als Referenz werden dann die Verbreitungskarten der Arages angegeben, welche nur bedingt Informationen zur Häufigkeit liefern.

Z. B. Enoplognatha thoracica

Ich sammle nun wirklich regelmäßig Spinnen auf unterschiedlichsten Habitaten und kann absolut nicht behaupten, dass diese Art in Schleswig-Holstein sehr häufig auftritt, bzw. häufig nachgewiesen wird. Ich habe diese Art in den letzten fünf Jahren gerade mal 7 mal nachweisen können.

Zum Vergleich mit Arten, die ich über den selben Zeitraum häufig nachgewiesen habe:
Linyphia triangularis : 335 Nachweise
Agalenatea redii: 317 Nachweise
Anyphaena accentuata: 304 Nachweise
Diaea dorsata: 181 Nachweise

Mit 15 Nachweisen habe ich Dolomedes fimbriatus doppelt so oft nachweisen können wie Enoplognatha thoracica.

In meinen Augen ist diese Angabe darum eine Falschangabe. Um Weit verbreitet und sehr häufig angeben zu können, muss die Nachweiskarte zum einen nahezu flächendeckend punktiert sein und die Nachweispunkte müssen allesamt (oder wenigstens deutlich überwiegend) aus den Jahren 2000-2009 stammen (also grün sein); müssen also hinreichend aktuell sein.

Die ARAGES-Nachweiskarten zeigen deshalb in meinen Augen, dass Enoplognatha thoracica nicht häufig nachgewiesen wird. Die meisten Nachweise stammen augenscheinlich aus den 90er Jahren. Die Information sehr häufig ist also falsch!

Zumal unklar ist, was mit sehr häufig gemeint ist. Sehr häufig nachgewiesen? Sehr häufig auftretend?

Martin
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DAS waren noch Zeiten: Norwegen 2011.

Arno Grabolle

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Re: Angabe: Weit verbreitet und sehr häufig
« Antwort #1 am: 2009-06-27 10:44:04 »
Ich kann deine Argumentation nachvollziehen bis auf die Forderung, das die Nachweise aus 2000–2009 stammen müssen. Warum?

Gegenargumente:
1. Ich hätte diese Angabe auch aus den SpiMi übernehmen können, in denen die Art als „häufig“ bezeichnet wird (ebenfalls Bellmenn (S. 66): „in Mitteleuropa ziemlich häufig“ oder Roberts (P. 291: „Fairly common and widespread throughout Britain and Northern Europe“). Dazu kommt mein eingener Eindruck. Es sind also genau genommen mehrere Quellen, aus denen sich meine Einschätzung zusammensetzt. Die Verbreitungskarten bestätigten das in meinen Augen deutlich.
2. Natürlich ist die Funddichte (Häufigkeit) der meisten Arten im Norden etwas geringer, als in der Mitte oder im Südwesten. Deshalb erwähne ich das nicht jedes mal.
3. Dass du die Art nur 5 mal gefunden hast, liegt meines Erachtens an deinen Suchmethoden. Wenn ich vornehmlich keschern und klopfen würde, hätte ich die Art wahrscheinlich erst zwei oder drei mal gesehen. Auch in Bodenfallen wird man maximal die Männchen zu einer bestimmten Zeit drin haben. E. thoracica ist eine jener schwer nachzuweisenden Arten, da sie ausschließlich ganz dicht am Boden lebt und dazu sessil ist.
Dass sie trotzdem laut Verbreitungskarten in so vielen TKs und ziemlich flächendeckend nachgewiesen wurde, ist für mich ein Hinweis darauf, dass sie sogar noch häufiger sein könnte, als angenommen.
Vergleiche hierzu Stratum-Angabe in Lebensräume Mitteleuropäischer Spinnen von Hänggi, Stöckli, Nentwig (s. 155) mit denen der von dir gennanten Vergleichsarten.
4. Meiner Erfahrung nach ist die Art in sehr vielen, einigermaßen warmen Lebensräumen zu finden, von Waldrändern über Wiesen bis hin zu sehr heißen Trockenrasen und Felssteppen. Sie ist in diesen Lebensräumen auch sehr regelmäßig anzutreffen.

Du hast allerdings in einem Punkt recht: Der Begriff der Häufigkeit ist schwammig und undeffiniert. Korrekt müsste es heßen: „In vielen TKs nachgewiesen“, oder „in hoher Funddichte“?.

Arno

Aloys Staudt

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Re: Angabe: Weit verbreitet und sehr häufig
« Antwort #2 am: 2009-06-28 15:25:28 »
E. thoracica ist eine jener schwer nachzuweisenden Arten, da sie ausschließlich ganz dicht am Boden lebt und dazu sessil ist.Dass sie trotzdem laut Verbreitungskarten in so vielen TKs und ziemlich flächendeckend nachgewiesen wurde...

...liegt daran, dass die Art in Bodenfallen recht häufig auftritt. Wo sie in den Normallandschaften
im Detail (Habitat) lebt, habe ich noch nicht herausgefunden, weil man sie dort per Handaufsammlung
so gut wie nie findet. Ich finde sie bei meinen Exkursionen gelegentlich unter Steinen an felsigen Standorten.

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Aloys
 

Aloys Staudt

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Re: Angabe: Weit verbreitet und sehr häufig
« Antwort #3 am: 2009-06-28 15:47:04 »
Du hast allerdings in einem Punkt recht: Der Begriff der Häufigkeit ist schwammig und undefiniert. Korrekt müsste es heißen: „In vielen TKs nachgewiesen“, oder „in hoher Funddichte“?.

Ich denke man sollte sich nur auf eine Vorgehensweise verständigen:
1) entweder ich formuliere mit dem Begriff "Nachweis"
2) oder ich lasse auch persönliche Erfahrungen einfließen und lasse "Nachweis" weg!
aber nicht einmal so und dann wieder anders.

1) zeigt lediglich den aktuellen Kenntnisstand, ist aber bezüglich der Aussage zur
Häufigkeit deswegen nicht unbedingt "wahrer". Ausserdem ist in vielen Fällen
eine fehlerhafte Informationaufnahme vorprogrammiert, da dem Uneingeweihten
die Problematik, die hinter dem Begriff Nachweis steckt, natürlich nicht gegenwärtig sein kann.

2) mit einer Meinung kann man natürlich sehr schnell daneben liegen, andererseits
zeigt auch eine Meinung irgendwie den Kenntnisstand an. Es kann aber nur darum gehen
dem interessierten Leser einen Eindruck von der Häufigkeit zu geben.

Wenn ich also z.B. bei Salticus scenicus sage: "sehr häufig" an Häuserwänden ist
das wohl sinnvoller als zu sagen: "zerstreut bis selten an Häuserwänden nachgewiesen" oder gar "in
Südwestdeutschland sehr viel häufiger an Felsen als an Häuserwänden nachgewiesen".

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Aloys

 



Arno Grabolle

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Re: Angabe: Weit verbreitet und sehr häufig
« Antwort #4 am: 2009-06-28 19:14:38 »
Ich wollte eigentlich ein paar Worte zum Thema Handfang sagen, was dann aber zu einem ganz eigenem Thema auswuchs, welches man jetzt hier finden kann.

Wie gesagt, ich finde E. thoracica relativ häufig und auch in ihren Netzen. Ich würde schätzen, dass auch in steinigen, warmen Lebensräumen, wie Trockenhängen nur etwa 10% der Exemplare unter Steinen zu finden sind.

Die Art lebt ganz dicht am Boden in kleinen Höhlungen, die sie zu Verstecken ausbauen, von denen ein kugelspinnen-typisches Netz ausgeht. Diese Verstecke befinden sich – wenn möglich – unter der Erdoberfläche in kleinen Vertiefungen usw. Eigentlich vergleichbar mit Asagena und mancher Steatoda (z.B. albomaculata).

Zur Häufigkeit: Ich gebe zu, dass ich meine eigene Meinung zur Häufigkeit einer Art nicht ausblenden kann. Mit jedem bewussten Fund einer Art, bildet sich diese Meinung und ein Bild entsteht. Die Gafahr dabei ist offensichtlich: Jeder von uns betrachtet die Dinge durch ein gewisses Fenter. Ich suche z.B. fast nur in Mittelthüringen und sehr viel mehr an Trockenhängen als in Wäldern und viel mehr Handfang als Klopfschirm usw.

Allerdings hast du (Aloys) oben ja dargestellt, dass auch (wissenschaftlich objektive) ökologischen Untersuchungen bestimmter Biotoptypen schnell einen falschen Eindruck vermitteln können.

Ich halte die Einbeziehung von Meinungen nicht für so problematisch, weil das Wiki ja ein plural gepflegtes Informationssysthem ist. Je mehr Leute eine Meinung zu einem Thema äußern, desto näher kommt der daraus entstehende Konsens der Wahrheit (oder lehne ich mich mit dieser These zu weit aus dem Fenster?). Wahrscheinlich sollte man die veröffentlichten Informationen mehr diskutieren (was wir ja hier tun).

Zur Verbreitung:
Meine kurzen Einschätzungen zur Verbreitung der Arten soll eigentlich nur das Bild der Verbreitungskarten zusammenfassen und ansazweise analysieren, damit Leute mit einem geringen Kenntnisstand einen besseren Zugang zu diesen Karten bekommen (wer nicht 50% der Karten gesehen hat, kann z.B. die Relation zu anderen Arten nicht einschätzen). Darum versuche ich eine grobe Klassifizierung der Fundhäufigkeit einer Art auf das ganze Land bezogen (die Karten zeigen leider nur De, sonst würde ich gerne auch eine Einschätzung für Mitteleuropa machen). Dabei bediene ich mich Begriffe wie „häufig“ oder „selten“, die jeder gefühlsmäßig einordnen kann. Eine andere Möglichkeit wäre, ein festes System zu entwickeln, dass auf irgendwie statistisch definierten Häufigkeitsklassen beruht (bei 20 Fund-TKs pro Region ist eine Art häufig nachgrwiesen oder so). Das können wir aber nicht leisten und würde von jedem Leser wieder das Verstädnis des Systems erfordern.

Die Schwierigkeit liegt hier darin, dass das Wort „Häufigkeit“ im allgem. Sprachgebrauch sowohl auf die Abundanz einer Art in einem bestimmten Lebensraum, als auch auf die Funddichte innerhalb einer Region oder Großregion bezogen wird. Ich habe schon darüber nachgedacht, das anders zu formulieren und zu sagen: „Die Art ist in Deutschland in hoher Funddichte nachgewiesen worden“, oder „in vielen Quadranten“. Ich frage mich aber, wie und ob das von Außenstehenden verstanden wird.

Die Karten geben mir kaum bis keine Informationen darüber, wie oft und mit wieviel Exemplaren eine Art in einem TK nachgewiesen wurde. Ich sehe nur eine relativ volle Karte oder eine relativ leere. Oder eine, in der im Westen, Nodern oder sonst wo überhaupt keine Funde verzeichnet sind. In solchen Fällen kann man manchmal mit etwas Kenntnis der Lebensraumansprüche einer Art (stenök/euriök) auf Gründe schließen, die zu diesem oder jenem Verbreitungsbild führen (Dühnen-Arten gibt es nicht in Thüringen). Solche Schlüsse versuche ich vorsichtig in die Verbreitungsangaben hineinzuformulieren.

Wie häufig eine Art in welchem Lebensraum gefunden wird (ökologische Nische/Abundanz) sollte unter „Lebensraum“ beschrieben werden (oft an Hauswänden, manchmal aber auch an Baumrinde).

Arno