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Trachyzelotes pedestris - ein spezialisierter Asseljäger?

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Wolfgang Schlegel:
Eigentlich hätte man es wissen können - Anton Menge hat vor knapp 150 Jahren bereits Beobachtungen gemacht, die darauf hindeuteten (Preußische Spinnen, Seite 314). Allerdings scheint sich seither niemand damit beschäftigt zu haben, so dass jedenfalls ich es bis vor kurzem nicht gewusst habe. Nachfolgend ein Bericht darüber, weshalb ich die Frage aus dem Thema dieses Threads mit "ja" zu beantworten geneigt bin.

Die Geschichte geht so: bei einem Ausflug auf den Esslinger Höhenweg wurde an einer Stelle, an der dieser Weg nach Norden hin aufhört gut befestigt zu sein, eine Ruhepause eingelegt. Es war im Juni 2017, ein Nachmittag mit strahlendem Sonnenschein und brütender Hitze bei 35 Grad. Einige Kleingärten grenzen dort an einen Acker, in weniger als 50 m Entfernung beginnt der Wald. Spinnen waren zunächst bemerkenswert wenige zu sehen, nur einige Pardosas trugen auf dem Feldweg ihre Kokons spazieren. Nach geraumer Zeit unproduktiven Dösens bemerkte ich in einem Grasbüschel zu meinen Füßen eine Bewegung. Bei näherer Betrachtung schien mir da eine Spinne rittlings auf einer Assel zu sitzen. Das war mir noch nicht begegnet; ich habe gelegentlich Dysdera beim Jagen beobachtet, aber immer nur bei Dunkelheit, und ich habe nie eine auf ihrer Beute reiten sehen. Dass die Spinne im Grasbüschel jedenfalls keine Dysdera war, konnte ich auch mit bloßem Auge noch ausmachen. Nachdem die Spinne mein Interesse bemerkt hatte, konnte sie plötzlich sehr schnell laufen, aber mit etwas Glück (meinerseits) wurde sie eingefangen. Die Assel hatte sich inzwischen in die Graswurzeln verkrümelt und entzog sich näherer Bestimmung.

Daheim erwies sich die Spinne als erwachsenes Weibchen von Trachyzelotes pedestris, und da ich Gäste nicht hungern lassen möchte, gab ich ihr eine Dörrobstmotte zur Gesellschaft. Unerwarteterweise saßen die beiden Tiere auch noch am nächsten Tag und nach einer weiteren Nacht einträchtig und gesund auf engem Raum zusammen. Die Fundsituation bedenkend, besorgte ich mir am nächsten Abend einige Oniscus asellus von der Gartenmauer, und damit hatte ich's getroffen.

Wolfgang Schlegel:
Meine Fütterungsversuche während der nächsten 7 Wochen bis zum Tod der Spinne fanden stets bei Tageslicht statt, so dass ich das Geschehen auf Video aufnehmen konnte. Die folgenden Bilder sind größtenteils Ausschnitte aus Video-Standfotos, die Videos hatten ein Format von 1920 x 1088 Pixeln bei einer Einzelbildrate von 25 Bildern/s. Nicht von erlesener technischer Qualität, aber zur Illustration des Textes doch hilfreich. Um diesen Thread nicht zu sehr aufzublähen, werde ich hier nur wenige Bilder posten; eine ausführlicher illustrierte Fassung ist als PDF verfügbar.

Die Spinne muss keinen Körperkontakt zur Assel haben, um sie als potentielle Beute zu erkennen. Eine Angriffsreaktion kann auch von einer 2 bis 3 Assellängen entfernten Assel ausgelöst werden; ich vermute eine erste Erkennung über den Gesichtssinn, es dürften aber auch Vibrationen oder chemische Reize eine Rolle spielen.

Der Angriff der Spinne erfolgte stets von der Dorsalseite der Assel her. Kleinere Asseln (kleiner als die Gesamtlänge der Spinne) werden gepackt und zunächst irgendwo in den Rücken gebissen, nach kurzer Zeit aber so gedreht, dass ein Biss in den Nacken erfolgen kann.

Wolfgang Schlegel:
Bei größeren Asseln von ungefähr derselben Länge wie die Spinne wird sofort die Position für den Nackenbiss gesucht; die Spinne versucht danach die Beute am Platz zu halten und wirft sich nach Möglichkeit auf den Rücken, um die Beine der Assel in die Luft zu bringen.

Wolfgang Schlegel:
Bei noch größeren Asseln (die gerne gut die doppelte Spinnenlänge haben dürfen) wird das schwierig; die Spinne springt der Beute dann auf den Rücken, setzt den Nackenbiss und klammert sich zunächst mit einigen Beinen an der Beute und mit den anderen am Boden fest, um die Assel am panischen Durchgehen zu hindern. Wenn dies misslingt, kommt es zu Rodeo-Szenen, bei denen sich die Spinne nicht abschütteln lässt; der Vorgang wird aber durch seine Auffälligkeit riskant.

Wolfgang Schlegel:
Nach 2 bis höchstens 5 Minuten bewegt sich die Beute nicht mehr; bei meinen Versuchen waren die größten Asseln am schnellsten bewegungsunfähig, so dass ich annehme, dass die Spinne die Giftmenge situationsangemessen dosiert.

Zum Fressen wird die Beute nach Möglichkeit umgedreht, so dass Spinne und Beute Bauch an Bauch und Kopf an Kopf liegen (dieselbe Fresshaltung wie bei Dysdera erythrina), einigermaßen handliche Asseln werden dabei auch von Trachyzelotes umhergetragen.

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