Autor Thema: Phantomarten-Kandidaten  (Gelesen 29450 mal)

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #60 am: 2015-06-24 08:40:16 »
das Problem ist, dass ich nicht einfach aus einer Syntypensammlung ein Exemplar aussuchen kann und dann synonymisiere.
Doch, das kannst Du schon, das ist völlig legitim, auch wenn es sich vielleicht ein bisschen radikal anfühlt. Das kommt halt daher, dass wahrscheinlich der Originalautor nicht sorgfältig genug war (oder im Laufe der Jahre etwas Unordnung in das Typusmaterial geraten ist).

Zitat
Wären alle Syntypen wenigstens von der gleichen Art und würden einfach nur einer anderen Unterfamilie bzw. Gattung angehören, dann ginge das.
Formal ändert sich dadurch, dass die Syntypen nicht zu der Gattung oder Unterfamilie gehören, in die der Originalautor sie eingeordnet hatte, nichts an dem Problem. Die Syntypen gehören zu zwei verschiedenen Arten, der Name kann aber nur für eine der beiden verwendet werden. Das kommt gar nicht so selten vor, und es ist dann die Aufgabe des revidierenden Autors, sich für eine der beiden zu entscheiden. Zum Beispiel kann er versuchen, die bisherige Verwendung des Namens zu stabilisieren, oder er wählt den Syntypus, der am besten erhalten ist oder für den es ein klar erkennbares älteres Synonym gibt oder der in der Originalarbeit illustriert wurde. Oder, wenn das alles nicht hilft, trifft er eine willkürliche Wahl.

Zitat
Aber so würde ich ja durch die Wahl eines Lectotyps einem Typus Vorrang vor dem anderen geben und je nachdem welchen ich wähle würde die Art ein Synonym einer Art aus der einen Unterfamilie oder eben der anderen. Das Problem spielt sich ja hier auf Unterfamilienebene ab..
Genau so ist es, aber ein Problem ist das nur "emotional", nicht für die Formalitäten des Vorgehens.

Zitat
Mich würde es wundern wenn die Typen falsch etikettiert wären, wäre schon Zufall wenn ich trotz falscher Etiketten 2 Dipluridae bekomme und dann auch noch aus genau dem Gebiet aus dem die Art stammen soll. Sollte es so sein ist es für mich aber nicht nachprüfbar.
Das kann ich so allgemein schwer beurteilen, aber da solche Verwechslungen ja gerade während der Revision des Materials vorkommen würden (siehe den Fall von Diplura erlandi, für den Bäckstam dieses Szenario diskutiert), scheint mir eine Verwechslung nicht unmöglich. Wenn Du mir den Namen der betroffenen Art zukommen lässt, kann ich vielleicht mehr dazu sagen.

Beste Grüße,
Rainer

Bastian Drolshagen

  • ****
  • Beiträge: 1169
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #61 am: 2015-06-24 11:32:53 »
hi Rainer,
hm, mag sein, dass das geht, aber irgendwie finde ich es falsch. Es ist ja einfach so, dass diese Art in ihrem ursprünglichen Sinn einfach nicht identifiziert werden kann. Die beiden Syntypen eignen sich meiner Meinung nach auch nicht für eine ordentliche Diagnose, da es sich bei beiden Tieren um juvenile Exemplare handelt und zumindest den größeren der beiden konnte ich keiner Art zuordnen. Es handelt sich um eine Ischnothelinae und keine Diplurinae und obwohl die südamerikanischen Ischnothelinae komplett revidiert sind passte das Exemplar zu keiner der bekannten Arten. Jetzt anhand dieses Typus eine neue Art zu beschreiben würde das Problem ja nur noch verschlimmern.
Aus der von dir genannten Geschichte haben Christian und ich viel gelernt. Wir haben in der jetzigen Arbeit einige Typen die in der von ihm erwähnten Arbeit ebenfalls untersucht wurden und mit Material aus Argentinien und Peru vermischt wurden oder sogar komplett verloren gegangen sind. Es scheint als sei das Typusmaterial einiger Arten nur unvollständig, teilw. vermischt oder garnicht zurück in die europäischen Museen gekommen. Pedroso hat zB berichtet, dass in einigen südamerikanischen Museen ebenfalls Mischtypen liegen und dass das Material dieser Typen anscheinend aus eben den fehlenden Teilen besteht die wir in Europa nicht haben. Es wäre aber unglaublich kompliziert und sicher nicht im Sinne der Sache dieses Material neu zu sortieren - vor allem weil auch hierbei Fehler passieren können, da nicht sicher ist aus wievielen Typenreihen das derzeitig vorliegende Mischmaterial tatsächlich besteht. Kann dir die relevanten Arbeiten mal schicken wenn du willst.
Richtig mies ist allerdings, dass in manchen Gläschen zerstückelte Männchen liegen, die 2 rechte (bzw. 2 linke) Palpen haben, jedoch der linke (bzw. rechte) fehlt. Meistens haben die untersuchenden Autoren an der gleichen Stelle abgetrennt und die Teile sehen identisch aus, sodass es unmöglich ist das Material zuzuordnen da ja in der Originalbeschreibung Illustrationen fehlen. Was macht man mit sowas? Für mich sind das Fälle von nomina dubia oder sogar nomina nuda.. je nach Schwere des Schadens.
Christian wollte die Arten auch erst als nomina dubia deklarieren, hat dann aber davon abgesehen um einer möglichen Neubeschreibung nicht im Weg zu stehen. Wie wir diese allerdings bewerkstelligen wollen ist noch unklar, da es wenige wirklich charakteristische Merkmale gibt wie wir schon 2011 für Harmonicon erkennen mussten.
Grüße,
        Bastian

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #62 am: 2015-06-24 14:24:34 »
Dieser Vandalismus mit dem Typenmaterial ist schon erstaunlich. Man muss natürlich jeden Einzelfall genau betrachten, aber ich denke, als allgemeine Leitlinie kann man "Mischtypen", die sich nicht auflösen lassen, weil aus der Erstbeschreibung nicht klar ist, welches Material zur eigentlich gemeinten Art gehört, ohne Bedenken genauso behandeln, als wären sie verloren. Wenn eine Art aus irgendwelchen Gründen besonderen Schutz verdient (z.B. weil sie der Typus einer validen Gattung ist), kann man mit einer recht aufwändigen Prozedur einen Neotyp wählen, aber in den meisten Fällen ist es wohl in der Tat angebracht, die Art einfach als nomen dubium zu behandeln, bis neue Daten vielleicht eine Neubewertung erlauben (nicht nomen nudum, denn das ist nur der Fall, wenn der Name ohne Beschreibung verwendet wurde).
Beste Grüsse,
Rainer

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #63 am: 2015-07-03 17:43:15 »
Linyphia pinnata juniperina Kolosváry, 1933: 57, f. 4.3 (Df). Da L. pinnata = L. triangularis, ist wohl auch diese Unterart zu synonymisieren. Es gibt keine echte Beschreibung zu dieser Art, sondern bloss eine (grotesk schematische) Abbildung der Epigyne, und die Bemerkung "Diese Varietät hat einen breiteren roten Abdomenmedianstreifen als die normalen Tiere." Die Form soll spezifisch für die Wacholdersteppen Ungarns sein. Auch wenn das unter Umständen L. tenuipalpis nahelegt, ist das durch die Abbildung wohl auszuschliessen; degegen scheinen die zum Vergleich herangezogenen Abbildungen der Epigyne aus Bösenberg (1901) je ein Exemplar von L. tenuipalpis und L. triangularis zu zeigen (Bösenberg beschreibt wie ihm diese trotz "ganz anders geformte[r] Epigyne" so ähnlichen Tiere einiges Kopfzerbrechen bereiteten, kam aber abschliessend auf die Idee, dass es sich wohl um "verschiedene Entwicklungsstufen" einer einzigen Art handele). [Hmm, ganz neu ist diese Erkenntnis nicht: Kulczynski hatte Bösenbergs Verwechslung bereits 1913 erkannt. Kann man daraus schliessen, dass auch Kolosváry beide Arten vorlagen? Aus Ungarn wird L. tenuipalpis nicht gemeldet, aber es sollte mich sehr überraschen, wenn sie dort nicht vorkäme. Hier im Forumsarchiv habe ich aber noch keine entsprechende Meldung gefunden...]

Weiterer Kandidat:
Cheiracanthium cunciculum Herman, 1879: 159, 357, pl. 7, f. 160 (Df). Der Typus ist im Museum in Budapest nicht mehr aufzufinden und wurde nach Angaben des Kurators möglicherweise bei einem Brand in der Sammlung zerstört.

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #64 am: 2015-07-12 13:25:29 »
Tmarus punctatissimus (Simon, 1870)
Interessanter Fall. Vielleicht ein (älteres!) Synonym von Tmarus horvathi. Sollte aber als nomen oblitum durchgehen...
Dieser Fall hat sich erledigt: Bosmans, R. & Hervé, C. (2015). Tmarus horvathi Kulczyński, 1895, synonyme plus récent de Tmarus punctatissimus (Simon, 1870) (Araneae, Thomisidae), avec de nouvelles données sur la distribution de l’espèce. Revue Arachnologique 2 2: 38-40.
Die Autoren wählen aber die weniger konservative Strategie, so dass die Art jetzt als Tmarus punctatissimus geführt werden muss.
Beste Grüße,
Rainer

Tobias

  • Gast
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #65 am: 2015-07-12 13:40:32 »
Aber da greift doch jetzt Artikel 23.9, warum dann das alte, unbekannte Synonym übernehmen?

Tobias

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #66 am: 2015-07-12 16:54:22 »
Tja, das liegt halt im individuellen Ermessen des Bearbeiters. T. horvarthi ist wohl nicht so häufig, dass die Namensänderung große Probleme verursachen wird. Und die Bedingung aus Artikel 23.9.1.2 ist vermutlich auch nicht erfüllt.
Beste Grüße,
Rainer

Tobias

  • Gast
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #67 am: 2015-07-12 17:30:52 »
Mmh, die Art taucht aufgrund des weiten Verbreitungsgebiets (wenn richtig bestimmt) neben den im WSC verzeichneten nomenklatorischen Arbeiten auch in einigen faunistischen Arbeiten auf. Nimmt man noch die SpIE als Online-Werk hinzu, kommt man vlt. auf die benötigte Anzahl. Aber wie du schon sagst, große Probleme wird das sicherlich nicht verursachen.

Tobias

Martin Lemke

  • Administrator
  • *****
  • Beiträge: 15531
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #68 am: 2015-08-26 06:17:01 »
Da der Artikel nun erschienen ist, schlage ich vor, dass wir für die weitere Kandidatensuche, einen neuen Thread Phantomarten, Teil 2 eröffnen. Ich hätte da auch gleich einen Kandidaten (Canariphantes zonatus lucifugus (WSC|UniB|Wiki).

Falls aber schon neue Kandidaten in diesem Thread vorgeschlagen wurden, sagt mit bitte Bescheid (konkretes Posting). Dann trenne ich den Thread von da an auf und benenne ich entsprechend um.

Martin
Profil bei Researchgate.net – Spinnen-News aus SH

DAS waren noch Zeiten: Norwegen 2011.

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #69 am: 2015-08-26 07:22:37 »
Hallo Martin,
In diesem Thread wurden bisher vor allem Arten gesammelt, die noch nicht im Artikel und im Wiki dokumentiert sind. Er kann also auch für die weitere Kandidatensammlung verwendet werden, bis jemand die Zeit findet, die Liste durchzugehen und die entsprechenden Wiki-Einträge vorzunehmen.
Beste Grüße,
Rainer

Martin Lemke

  • Administrator
  • *****
  • Beiträge: 15531
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #70 am: 2015-08-27 08:13:23 »
... bis jemand die Zeit findet, die Liste durchzugehen und die entsprechenden Wiki-Einträge vorzunehmen.

Da sehe ich abgesehen von der Zeit vor allem die Schwierigkeit, einschätzen zu können, welche der vorgeschlagenen Arten, tatsächlich in die Liste aufgenommen werden soll.

Bislang werden entsprechenden Arten im Wiki markiert mit: {{Phantomart}}; darauf hin erschein im entsprechenden Wiki-Artikel folgendes:

Diese Art gilt als species inquirenda, d. h. sie wurde nach der Erstbeschreibung nicht wieder gefunden, und ihr Status ist umstritten. Siehe Artikel Phantomarten.

Als Hauptautor müsstest Du diese Prüfung übernehmen.

Vielleicht kann Michael uns dabei behilflich sein, indem er die Vorlage {{Phantomart}} so ändert, dass ein Parameter möglich ist. Etwa so: {{Phantomart|ungeprüft}} – wird dieser Parameter angegeben, erscheint in etwa dies: "Als Phantomarten vorgeschlagen, aber noch nicht näher geprüft. Zugleich sollen diese einer Kategorie [[Kategorie:Phantomart ungeprüft]] zugeordnet werden, über welche Du die offene Liste immer finden kannst. Ist eine Art geprüft und posistiv, wird der Parameter wieder gelöscht, im Falle negativ, wird der Parameter auf {{Phantomart|negativ}} geändert und im Atikel erscheint nichts oder ein Hinweis, dass das geprüft wurde.

Falls das zu umständlich ist, können auch alle Vorschläge in eine alphabetische Gesamtliste. Erledigte Fälle werden markiert z.B. [s]durchgestrichen[/s], wenn negativ, [b]fett[/b], wenn positiv, ein P dahinter, wenn publiziert. Ich denke, die Liste ist einfacher zu führen. Neue Vorschläge am besten mit eigenem Namen und Datum in Klammern dahinter.

Martin
Profil bei Researchgate.net – Spinnen-News aus SH

DAS waren noch Zeiten: Norwegen 2011.

Michael Hohner

  • Administrator
  • *****
  • Beiträge: 4978
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #71 am: 2015-08-27 09:48:37 »
Braucht man da wirklich eine neue Vorlage? Ich dachte, dass die Kandidaten in diesem Thread gelistet werden, und alles mit {{Phantomart}} im Wiki ist schon vorläufig geprüft.

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #72 am: 2015-08-27 10:32:07 »
So sehe ich das auch. Die Arten mit einem {{Phantomart}}-Label sollten auch auf der Phantomarten-Seite im Wiki dokumentiert sein, zumindest mit dem basalen Auszug aus dem WSC im Platnick-Stil. Bei Gelegenheit mache ich eine Liste der Arten aus diesem Thread, die hier aufgenommen werden sollten.
Rainer

Martin Lemke

  • Administrator
  • *****
  • Beiträge: 15531
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #73 am: 2015-08-27 10:41:00 »
Braucht man da wirklich eine neue Vorlage?

Anscheinend nicht.

Martin
Profil bei Researchgate.net – Spinnen-News aus SH

DAS waren noch Zeiten: Norwegen 2011.

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #74 am: 2015-08-27 12:00:07 »
Ich habe jetzt einen neuen Thread mit einer alphabetisch sortierten Liste der noch zu bearbeitenden Phantomarten-Kandidaten gestartet. Diese Liste kann dann aktualisiert werden, wenn die einzelnen Fälle im Wiki eingebaut werden (oder von anderen Autoren geklärt werden, so wie bei Tmarus punctatissimus).

Hier noch ein paar Kandidaten, aus einer Diskussion mit Michael Schäfer:

Sitticus manni = Heliophanus melinus (ein älteres Synonym, aber ein nomen oblitum; eine erhaltene Abbildung der Art durch Doleschall, im Wiener Museum, bestätigt zusammen mit der detaillierten Beschreibung diese Identifizierung, auch wenn die Typen verloren sind)
Attus viridimanus = Heliophanus cf. auratus (wird im WSC zur Zeit aus unerfindlichen Gründen als Synonym von Evarcha arcuata geführt)
Philaeus albovariegatus, Philaeus jugatus, Philaeus stellatus sind vermutlich alle Philaeus chrysops
Philaeus varicus ist wohl Carrhotus xanthogramma, nach der Beschreibung der Färbung und der Abbildung des Pedipalpus.

Beste Grüsse,
Rainer

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #75 am: 2015-09-04 18:11:08 »
Ich habe die mutmasslichen Phantomarten aus den Arbeiten von P. Franganillo-Balboa und Gabor Kolosváry in die Liste eingefügt. Das bringt die Gesamtzahl auf 116. Zusammen mit den bereits veröffentlichten und im Wiki dokumentierten Fällen nähern wir uns der magischen Zahl 200. Und dabei wird es nicht bleiben; alleine bei Simon gibt es bestimmt noch zwei Dutzend Fälle (vor allem Unterarten). 5% der in der Fauna Europaea genannten Formen sind mindestens betroffen. Da bleibt also noch viel zu tun  ::)
Beste Grüsse,
Rainer
PS: Die farbigen Abbildungen von Doleschall zu seinen Springspinnen-Phantomen habe ich im Wiki eingebaut.

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #76 am: 2015-12-15 08:51:18 »
Keine Phantomart im strengen Sinne (weil Simon die Art in Frankreich wiedergefunden zu haben meint), aber vielleicht doch in diesem Zusammenhang zu diskutieren: Singa melanocephala; allem Anschein nach ein älteres Synonym von Singa nitidula.

In diesem Fall fände ich eine Umbenennung aber sehr unpassend, da 23.9 nicht greift wegen dem angeblichen "Wiederfund" von Simon (usage after 1899). Singa nitidula ist weit verbreitet, und eine Umbenennung wäre extrem unvorteilhaft. Zudem sehen Singa lucina oder andere mediterrane Arten u.U. ähnlich aus.

Tobias
Ich habe gestern Simons Material von Singa melanocephala in Paris angeschaut, und es handelt sich da in der Tat um Singa nitidula. Für's nächste Phantomarten-Manuskript sollten wir uns also gut überlegen, wie man diesen Fall am besten behandelt, um die Verwirrungen minimal zu halten...
Beste Grüße,
Rainer

Arno Grabolle

  • ******
  • Beiträge: 14435
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #77 am: 2015-12-31 12:56:40 »
Hallo,

da ich mich bisher hier nicht beteiligt habe, weiß ich nicht genau, wie und wo man „Neuanträge“ stellt ;)

Mir ist bei der Bearbeitung der hübsch übersichtlichen Gattung Trochosa die Art hungarica aufgefallen, die seit ihrere Erstbeschreibung durch Herman 1897 nicht wieder aufgetaucht ist. Ich habe mir das mal angesehen und auch seine Beschreibung gelesen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was er da beschrieben hat. Die vordere Augenreihe ist laut Zeichnung leicht procurv, bei Trochosa aber scheinbar recurv. Auch die Bezeichnung des gesamten Tieres als „lohbraun“ (gelbbraun) scheint nicht so richtig zu Trochosa zu passen. Der Fundort „am Ufer des Balaton“ und die Größenangabe (f=17–21 mm) passen auch zu keine T.-Art. Auch die Epigyne nicht.

Ich denke, beim Weibchen könnte es sich in Wirklichkeit um Hogna radiata handeln. Rätselhaft bleibt mir allerdings noch das Männchen. Der Pedipalpus erzeugt nach Hermans Zeichnung ein recht klares Bild, ein sehr schlanker Pediplapus mit einfachem Bulbus und großer hakenförmiger Bulbusapophyse. Die Apophyse beschreibt Herman allerdings als hakenförmig gewundenen Farbeinsatz, also eher ein durchscheinender Samenkanal. So etwas gibt es ja bei verschiedenen Gattungen (z.B. Drassodes oder Philodromus), aber bei Wolfspinnen habe ich das jetzt vergeblich gesucht. Zusammen mit den sehr langgestreckten Proportionen des gesamten Ped. und der hellen Farbe des Tieres (laut Beschreibung), könnte es sich evtl. auch um ein subadultes Tier gehandelt haben?

Ich finde da keinen Zusammenhang, weder zu Trochosa noch zu einer anderen Gattung.

Im Anhang Hermans Abbildung. Daneben zum Vergleich die Epigyne von „Lycosa fraissei“ L. Koch, 1882 von Mallorca (die von Bosmans & Van Keer, 2012 in den Hogna-radiata-Komplex gestellt wird) und eine Epigynendarstellung von H.-radiata (Milelr 1971).

Arno

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #78 am: 2015-12-31 17:44:47 »
Hallo Arno,
Ich habe den Fall in der Warteliste aufgenommen. Ich denke, mit Hogna radiata liegst Du wohl richtig; Herman hatte ja auch Arctosa- und Geolycosa-Arten in seiner Gattung Trochosa untergebracht. Grösse, Lebensraum und das scheinbare Fehlen einer deutlichen Zeichnung sprechen dafür, ebenso ganz bestimmt die Epigyne. Ob der Pedipalpus zu einem subadulten Tier gehört oder nur schlecht gezeichnet ist, wage ich nicht zu sagen.
Beste Grüsse,
Rainer

Martin Lemke

  • Administrator
  • *****
  • Beiträge: 15531
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #79 am: 2016-01-02 06:35:50 »
Soll Cyrtophora citricola lurida KARSCH, 1879 (Link zum Artikel) nicht auch in die Warteliste? Auch wenn die Art nur außerhalb Europas (Kanarische Inseln) vorkommt?

Martin
Profil bei Researchgate.net – Spinnen-News aus SH

DAS waren noch Zeiten: Norwegen 2011.

Arno Grabolle

  • ******
  • Beiträge: 14435
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #80 am: 2016-01-02 10:46:31 »
@Rainer: Danke. Diese Liste hatte ich übersehen, weil sie angepinnt ist.

Dabei könnte man auch T. ochracea (L. Koch, 1856) zum nomen dubium (?) erklären. Die Art ist bei Koch (sogar in Klammern schon als Trochosa) beschrieben worden und taucht dann noch mal bei Bonnet (1959) auf. Dieses Werk ist im WSC nicht verfügbar, scheint aber nur eine Art Katalog zu sein.

Die Beschreibung von Koch lässt nicht seriös auf eine der Trochosa-Art bzw. Lycoside beziehen. Angaben zu irgendwelchen Typen fehlen.

Ich hatte die Art bis jetzt übersehen, weil ich sie für eine der neueren osteropäischen Vertreter hielt.

Arno

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #81 am: 2016-01-02 14:28:38 »
Soll Cyrtophora citricola lurida KARSCH, 1879 (Link zum Artikel) nicht auch in die Warteliste?
Erledigt. Auch wenn es keine europäische Art ist, ist es wohl besser, sie hier zu dokumentieren, sonst gerät das schnell in Vergessenheit.
Rainer

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #82 am: 2016-01-02 14:37:20 »
Dabei könnte man auch T. ochracea (L. Koch, 1856) zum nomen dubium (?) erklären.
In der Tat. Mit der Beschreibung ist sicher nicht viel anzufangen. Habe die Art in die Liste aufgenommen.

Im Moment bin ich (mit Theo, Tobias, Michael Schäfer und ein paar spanischen Kollegen) dabei dem zweiten Phantomarten-Manuskript den letzten Schliff zu geben. Dabei liegt der Fokus auf Franganillo, Kolosváry und diversen Springspinnen (darunter einer von Koch in demselben Artikel beschriebenen Art). Insgesamt wohl so etwa 70 Arten und Unterarten. Der letzte Entwurf hatte knapp 20.000 Wörter - und damit haben wir wohl kaum die Hälfte der europäischen Phantome erlegt. Das Thema kann das Forum also noch ein paar Jahre beschäftigen :)

Beste Grüsse,
Rainer

Tobias

  • Gast
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #83 am: 2016-03-10 12:46:08 »
Gerade darauf gestoßen:

 Ozyptila maculosa Hull, 1948   

Tobias

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #84 am: 2016-03-10 14:46:18 »
Ein interessanter Fall. Hast Du Vorschläge, um was es sich bei diesem Winzling handeln könnte? Die Tibiaapophysen sehen ja abenteuerlich aus...
Beste Grüsse,
Rainer

Arno Grabolle

  • ******
  • Beiträge: 14435
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #85 am: 2016-03-11 10:24:14 »
Missbildung ..?

Arno

Tobias

  • Gast
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #86 am: 2016-03-17 14:01:27 »
Ich kann mir das auch vorstellen. Die Apophysen sehen irgendwie unvollständig entwickelt aus.

Mich würde interessieren, ob es da überhaupt einen hinterlegten Typus gibt/gab. Leider schreibt Hull nichts dazu.

Tobias

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #87 am: 2016-03-18 08:20:47 »
Eine Missbildung ist sicher eine Möglichkeit. Wäre halt schön, wenn jemand ein ganz ähnlich deformiertes Exemplar in seiner Sammlung fände, so wie das damals bei Philodromus depriesteri der Fall war.

Ich habe gestern zufällig gelesen, dass jemand in den 70er Jahren Material von Hull im Hancock Museum in Newcastle-upon-Tyne gefunden hat. Das Museum existiert noch, man könnte also mal nachfragen, ob evtl. auch der Typus von Ozyptila maculosa vorhanden ist. Das Exemplar stammt ja aus der Nachkriegszeit und sollte daher nicht von der Austrocknung während der Alkohol-Knappheit in den Kriegsjahren betroffen sein, der grosse Teile von Hull's früher Sammlung zum Opfer fielen.

Beste Grüsse,
Rainer

Rainer Breitling

  • Aktive Mitarbeiter
  • *****
  • Beiträge: 2000
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #88 am: 2016-03-21 22:09:13 »
Habe soeben entdeckt, dass die Reste der Hullschen Sammlung 1965 von Cooke für das Oxforder Museum angekauft wurden. Anhand von diesem Material wurde Caviphantes saxetorum (Hull, 1916) als valide Art wiedererkannt. Ob auch andere Typen erhalten geblieben sind, wird aus der kurzen Notiz zu diesem Fall aber nicht ganz klar (es wird nur gesagt, dass danach gesucht wurde, und dass die Suche im Fall von saxetorum erfolgreich war).
Beste Grüße,
Rainer

Tobias

  • Gast
Re: Phantomarten-Kandidaten
« Antwort #89 am: 2016-03-22 16:44:47 »
Ich habe zudem mal die digitale Archivsuche im Hancock-Museum genutzt, leider kein Treffer für "Ozyptila", "crab spider" usw (aber viele für "spider crab"  ;))

Tobias