Autor Thema: Xysticus lanio alpinus  (Gelesen 3690 mal)

Michael Hohner

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Xysticus lanio alpinus
« am: 2018-10-16 11:04:12 »
Xysticus lanio alpinus wurde nun zu Xysticus alpinus erhoben:

https://wsc.nmbe.ch/reference/14558

Martin Lemke

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Re: Xysticus lanio alpinus
« Antwort #1 am: 2018-10-16 14:54:09 »
War die als Phantomart vorgemerkt?

Martin
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DAS waren noch Zeiten: Norwegen 2011.

Michael Hohner

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Rainer Breitling

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Re: Xysticus lanio alpinus
« Antwort #3 am: 2018-10-17 10:35:03 »
Auch wenn die Art nun kein Phantom mehr ist, bleibt es interessant. Im Wiki stand bereits, dass dieser Fall komplizierter ist. Die Unterschiede in den Genitalien sind ja wirklich minimal, soweit ich das beurteilen kann. Aber wenn X. lanio und X. alpinus sich erst in jüngster Zeit voneinander getrennt haben, wie kam es dann zur erforderlichen geographischen Separation, wie sie der Artbildung vorangehen sollte?

XysticusAlpinusVerbreitung.png
*XysticusAlpinusVerbreitung.png (385.61 KB . 900x450 - angeschaut 553 Mal)

X. alpinus ist mobil genug, sich über die ganze Breite der Alpen als einheitliche Art zu erhalten, wird aber in alle Himmelsrichtungen von X. lanio umgeben, der von Portugal bis Südschweden und von Irland bis in die Türkei zu finden ist (mindestens), und über dieses ganze Gebiet ebenfalls den Zusammenhalt als einheitliche Art bewahrt. Wie sieht das historische Szenario zur Evolution in so einem Fall aus? Gibt es vergleichbare Beispiele bei anderen nächstverwandten Artenpaaren?

Beste Grüsse,
Rainer

Tobias Bauer

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Re: Xysticus lanio alpinus
« Antwort #4 am: 2018-10-17 16:56:04 »
Wir haben Weibchen der Art in der Sammlung. Die sind genital doch sehr markant. Im Gegensatz zu lanio haben sie wirklich sehr deutliche, "anstatt einer Epigynengrube nur 2 voneinander unabhängige, vorgewölbte, länglich-eiförmige, vertikale, stark sklerotisierte Strukturen" (aus Araneae). Hier würde ich nicht unbedingt von minimalen Unterschieden sprechen wollen. Das ist auf Zeichnungen kaum zu vermitteln, springt einen aber durch das Mikroskop regelrecht an. Zudem ist die Art deutlich größer als X. lanio. Die größten X. lanio Weibchen sind absolut im untersten Bereich der X. alpinus-Weibchen. Bei den Männchen sieht das aber am Palpus und der Größe interessanterweise nicht so deutlich differenziert aus.

Zum Thema geografische Separation vor Artbildung, weil gerade passend und vorher gelesen: https://www.journals.uchicago.edu/doi/abs/10.1086/698302

Tobias


Roman Pargätzi

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Re: Xysticus lanio alpinus
« Antwort #5 am: 2018-10-17 17:57:35 »
Salü zäma,

Diese Art scheint in den Taschen der Rätoromanen herumgereist zu sein. :-)

Herzlich, Roman

Rainer Breitling

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Re: Xysticus lanio alpinus
« Antwort #6 am: 2018-10-18 13:34:32 »
Hallo Tobias,

Es kann ja sein, dass die Art sich unterm Mikroskop einfacher unterscheiden lässt, als auf dem Papier, aber zumindest die Männchen sind sich wohl so ähnlich, dass Jantscher sie trotz besonderer Aufmerksamkeit nicht in ihrem Material erkennen konnte (obwohl sie ihr vorgelegen haben, sogar gemeinsam mit den dazugehörigen Weibchen). Was die Grössenunterschiede angeht, zeigen Ballarin et al. auch Tiere, die genau gleich gross sind (Abb. 2 und 7, wenn da nicht die Massstäbe vertaucht wurden) und sie nennen X. alpinus nur "slightly larger in size". Und Hochgebirgsmelanismus ist ja auch bei anderen Gruppen bekannt.

Worum es mir aber geht, ist nicht, ob die Arten sich unterscheiden lassen, sondern wie sie entstanden sind. Sie sind ja offensichtlich Geschwisterarten. Ich denke, unter den mitteleuropäischen Xystici gibt es ausser cristatus/audax kein zweites so nahe verwandtes Artenpaar. Wie wurde die gemeinsame Stammart geographisch aufgespalten? Wo ist X. alpinus entstanden? Hat da jemand einen Vorschlag, wie die Geschichte abgelaufen sein könnte? Ein sympatrisches Artbildungsmodell würde hier ja noch mehr Fragen aufwerfen, als der klassische Ansatz.

Beste Grüsse,
Rainer

Tobias Bauer

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Re: Xysticus lanio alpinus
« Antwort #7 am: 2018-10-18 13:54:02 »
X. audax/cristatus ist sich auch ziemlich nahe, wir hatten ja auch schon Diskussionen hier im Forum. Da lassen sich Weibchen, streng genommen, genital fast schwieriger unterscheiden als alpinus/lanio, während die Männchen sich wirklich gut nur am Embolus unterscheiden lassen.

Mir ging es nicht darum, die Arten zu unterscheiden. Ich wollte nur klarstellen, dass die Weibchen sich genital nicht so ähnlich sehen, dass ich die Unterschiede als minimal bezeichnen würde, und die eventuell für eine länger zurückliegende Aufspaltung sprechen würde, als man vielleicht annehmen könnte. Bei den Männchen, wie oben geschrieben, sieht das anders aus. Auch größentechnisch gibt es natürlich gleichgroße Tiere, aber X. alpinus-Weibchen sind im Durchschnitt doch größer, die Männchen nicht (habe ich oben aber geschrieben).

Aber zurück zum Thema: Die gleichbleibende Verbreitung von X. alpinus in den Alpen ähnelt der sehr homogenen Verbreitung von Acantholycosa sudetica in mitteleuropäischen Blockhalden der Mittelgebirge, die sich fast nur als eine Art Refugium erklären lassen, oder auch Arctosa alpigena in den Alpen. Was wäre, wenn X. alpinus eine Art Relikt wäre, die sich aktuell in einem Refugium befindet? X. lanio ist dann zwangsläufig die jüngere Art.

Tobias

Rainer Breitling

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Re: Xysticus lanio alpinus
« Antwort #8 am: 2018-10-18 14:04:41 »
Was wäre, wenn X. alpinus eine Art Relikt wäre, die sich aktuell in einem Refugium befindet? X. lanio ist dann zwangsläufig die jüngere Art.
Hört sich interessant an. Wie genau müsste ich mir diesen Prozess vorstellen? Die Fragen bleiben ja: Wie wurde die gemeinsame Stammart geographisch aufgespalten? Wo ist X. alpinus (oder X. lanio) entstanden? Mich würde da ein plausibles, konkretes Szenario interessieren, auch wenn natürlich jeder Vorschlag reine Spekulation bleiben muss.
Beste Grüsse,
Rainer

Tobias Bauer

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Re: Xysticus lanio alpinus
« Antwort #9 am: 2018-10-18 14:29:48 »
Mmh, wenn man davon ausgeht dass die Art im Pleistozän entstanden ist, wäre es möglich, dass durch die Vergletscherung der Eiszeiten und dem Verrücken der Baumgrenze (eventuell der Riß-Eiszeit) eine Auftrennung einer möglicherweise gesamtmitteleuropäisch (inklusive Norditalien usw.) eher auf Bäumen lebende Art in eine Art Kältesteppenart (eventuell sogar eines der Mittelgebirge in Mitteleuropa) und einer "Baumart" durch die geografische Separation der Alpen möglich? Dann wäre X. lanio eingezwängt durch die Alpen eventuell in Italien entstanden. Wo war denn die Baumgrenze während der Eiszeiten? In Diesem Szenario ist nach meinem Verständnis dann X. lanio die Art, die ökologisch näher an der Stammart ist. Aber ganz unmöglich erscheint mir so etwas nicht, auch wenn man eventuell dann sagen müsste, dass es X. alpinus eventuell auch noch in Skandinavien geben müsste, wie so manche andere Art, die bei uns den Alpen verbreitet ist.

Tobias

Rainer Breitling

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Re: Xysticus lanio alpinus
« Antwort #10 am: 2018-10-18 14:57:52 »
Prima, so hatte ich mir das gewünscht ;) Wenn ich Dich richtig verstehe, wäre ein mögliches Szenario also, dass die Stammart in ganz Mitteleuropa bis südlich der Alpen auf Bäumen lebte. Dann wurde es kälter, die Vergletscherung der Alpen trennte die nördlichen und südlichen Populationen. Die cisalpinen Tiere verblieben weiter auf den Bäumen, im typischen lanio-Habitat, die Nordlandtiere passten sich an kältere und baumärmere Bedingungen der Tundra an und wurden grösser und dunkler. Als es wieder wärmer wurde, zog sich diese Form als X. alpinus in die Berge zurück, während die südliche Form sich als X. lanio mit der vorrückenden Laubwaldgrenze über ganz Europa ausbreitete, weit über das Areal der Stammart hinaus. Hört sich doch ganz plausibel an.
Vielen Dank,
Rainer

Simeon Indzhov

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Re: Xysticus lanio alpinus
« Antwort #11 am: 2018-10-18 15:25:12 »
Und wo steht Xysticus slovacus (auch baumbewohnende, ich glaube wieder montane, Art) im Schema?